Mittagsvorlesung 2015

Die Erforschung kollektiver und individueller Dynamik. Zu einer historisch, prozess-soziologisch orientierten interpretativen Sozialforschung

Prof. Dr. Gabriele Rosenthal

Georg-August-Universität Göttingen, Methodenzentrum Sozialwissenschaften

Mein Vortrag wird sich auf die Vorteile einer konsequent durchgeführten rekonstruktiven oder interpretativen Sozialforschung gegenüber anderen qualitativen Verfahren konzentrieren und verdeutlichen, inwiefern wir diese Vorteile noch konsequenter verfolgen können. Dabei stellen sich die Fragen: Was können wir mit wenigen, aber aufwendigen Fallrekonstruktionen mit dem Ziel einer „theoretischen Verallgemeinerung“ am Einzelfall im Unterschied zu qualitativen Verfahren mit umfangreichen Stichproben leisten, die eher eine numerische oder quantitative Verallgemeinerung zum Ziel haben? Inwiefern kommen wir damit überhaupt zu „allgemeinen“ Aussagen über die soziale oder kollektive Wirklichkeit, über eine bestimmte Gruppierung, Organisation oder Ortsgemeinde, ein bestimmtes Milieu oder soziales Netzwerk? Bei der Behandlung dieser Fragen geht es mir vor allem um ein Plädoyer für eine methodisch stärker historisch und prozessorientierte interpretative Sozialforschung. Meines Erachtens liegen in einer konsequenten Rekonstruktion der Verläufe und Wandlungsprozesse von einzelnen „Fällen“ und ihrer Verflechtungen mit anderen „Fällen“ die Chancen für eine empirisch geerdete Theorieentwicklung.