Symposium 2005
Qualitative und quantitative Methoden in der Sozialforschung: Differenz und/oder Einheit?
Moderation: Jo Reichertz, Franz Breuer
unter Beteiligung von: Uwe Flick (ASFH Berlin), Udo Kelle (Universität Marburg), Helmut Kromrey (Freie Universität Berlin), Jürgen Rost (Universität Kiel), Margret Schreier (International University Bremen)
Teilnehmende und ihre Beiträge in der vorgesehenen Vortragsabfolge
Differentielle Indikation und gemeinsame Qualitätskriterien als Probleme der Integration von qualitativen und quantitativen Methoden
Jürgen Rost, Universität Kiel, IPN, Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften
Angenommen man einigt sich, was man als qualitative und quantitative Methoden bezeichnet, und angenommen man ist sich einig, welche Methoden komplementär und welche konkurrierend eingesetzt werden können, so kann die vielbeschworene Integration nur unter zwei Voraussetzungen gelingen.
Erstens, es muss Kriterien für eine differentielle Indikation geben d.h. Anhaltspunkte dafür, wann man die eine oder die andere Methode einsetzt. Fehlen solche Kriterien, wann welche Methode indiziert ist, bleibt jede Integration ein subjektiv komponierter Methoden-Mix.
Zweitens müssen gemeinsame Qualitätskriterien für die Bewertung von Ergebnissen qualitativer und quantitativer Forschung zur Verfügung stehen. Werden unterschiedliche Kriterien an die Ergebnisse angelegt, so ist die Bewertung und Optimierung von integrierten Projekten zumindest schwierig.
In dem Beitrag wird von einem gemeinsamen, zumindest intuitiven Verständnis qualitativer und quantitativer Methoden ausgegangen. Als gemeinsamer erkenntnistheoretischer Rahmen für beide Ansätze wird das Spiralmodell von Theorie-Deduktion-Empirie-Induktion-Theorie herangezogen und es werden anhand dessen prototypische quantitative von prototypischen qualitativen Forschungsprozessen unterschieden. Als kleinste zu betrachtende Einheit gilt in diesem Modell ein vollständiger Zyklus, der bei der Theorie anfängt und endet. Es handelt sich also um eine rationalistische Erkenntnistheorie.
Da Start- und Endpunkt eines jeden Forschungsprozesses die Theorie ist, ergibt sich die differentielle Indikation zwischen qualitativen und quantitativen Methoden aus dem vorfindbaren Zustand der Theorie zu Beginn des Forschungsprozesses und des angestrebten Zustands der Theorie am Ende des Prozesses. Quantitative Methoden sind indiziert, wenn aus der Theorie Hypothesen deduzierbar sind, deren empirische Gültigkeit bislang nur unzureichend untersucht ist, bzw. von deren Gültigkeit sehr viel abhängt. Das Ziel des Forschungsprozesses ist eine Erhöhung der empirischen Gültigkeit der Theorie oder die Entscheidung zwischen zwei oder mehr konkurrierenden Hypothesen.
Qualitative Methoden sind dagegen indiziert, wenn die Theorie nur sehr schwache und wenig relevante Hypothesen abzuleiten gestattet und Bedarf an der Ausdifferenzierung der Theorie besteht. Das Ziel des Forschungsprozesses ist nicht die Bestätigung von a priori Hypothesen, sondern die Generierung weiterer Theorieelemente oder Hypothesen bzw. die inhaltliche Ausdifferenzierung der bestehenden Theorie.
Die differentielle Indikation ist daher abhängig von der subjektiven Bewertung des Zustandes einer Theorie und den subjektiven Erfolgsaussichten, den defizitären Zustand der Theorie mit dem betreffenden Methodenansatz ausgleichen zu können. Dies sind zwar keine objektiven Indikationskriterien, aber dafür weiß man wenigstens, worüber man sich streiten muss, wenn es um die Alternative „qualitative oder quantitative Methoden“ geht: um den Zustand der Theorien für das betreffende Forschungsgebiet.
Konsequenterweise lässt sich auch die Qualität von Forschungsprozessen, seien sie qualitativ oder quantitativ, über einen Vergleich der Zustände der Theorie vor und nach dem Forschungsprozess beurteilen. Dies kann anhand der üblichen Gütekriterien wie „empirischer Bestätigungsgrad“, „Einfachheit“, „Geltungsbereich“, „innere Konsistenz“ und „Relevanz“ geschehen. Natürlich hängt das Qualitätsurteil über einen Forschungsprozess auch wieder davon ab, welche Gütekriterien man anlegt. Aber man weiß wenigstens, anhand welcher Kriterien man was zu bewerten hat: den Fortschritt der Theorienbildung anhand der ganz normalen Gütekriterien.
„Qualitativ“ versus „quantitativ“ – Ideologie oder Realität?
Helmut Kromrey (Freie Universität Berlin)
Der Beitrag setzt sich mit dem Ärgernis der all zu plakativen begrifflichen Gegeneinandersetzung von „qualitativ“ und „quantitativ“ auseinander. Dies geschieht allerdings nicht in der Absicht, die Differenzen zu bestreiten, die zwischen diesen beiden Paradigmen der Erkenntnisgewinnung und der in diesen jeweils bevorzugten Designs und Methoden existieren. Vielmehr geht es darum, die Konnotationen aufzudecken, die bei Verwendung dieses irreführenden Schlagwortpaars mitschwingen, und zu zeigen, dass diese Schlagworte sich weniger zu sachlich-informationshaltiger Unterscheidung und Abgrenzung als zu ideologischer Verhärtung der Positionen eignen.
Was sich hinter diesen Begriffen an Erkenntnisstrategien, an Designs und Methoden verbirgt, unterscheidet sich durchaus in vielfältiger Hinsicht – am wenigstens jedoch im Hinblick auf die Konzepte „qualitativ“ und „quantitativ“. So weist die sog. „qualitative“ und die sog. „quantitative“ Wissenschaft charakteristische Unterschiede auf im Hinblick auf ihre Erkenntnisziele ebenso wie auf den Ausgangs- bzw. Startpunkt ihrer Forschungsbemühungen. Es existierten ebenfalls (nicht prinzipielle, aber doch unübersehbare) Unterschiede hinsichtlich der eingesetzten Methoden und prinzipielle Differenzen hinsichtlich des Stellenwerts der damit zu gewinnenden empirischen Informationen. Sog. „qualitative“ und sog. „quantitative“ Forscher verwenden zudem prinzipiell unterschiedliche Strategien der Informationsanalyse. Die unbestreitbar zahlreichen Differenzen auf jeder dieser Ebenen können anhand zahlreicher Kriterien aufgezeigt werden. Allerdings: Das Kriterium, dem dabei der relativ geringste Stellenwert zukommt, ist ausgerechnet die so herausgehobene Möglichkeit der Einordnung in „qualitativ“ oder „quantitativ“.
Neben der bisher angesprochenen pragmatischen Ebene der Forschungspraxis sollte allerdings nicht die grundsätzlichere wissenschafts- und erkenntnistheoretische (richtiger eigentlich: erkenntnisphilosophische) Ebene der Diskussion um qualitativ / quantitativ ausgeklammert bleiben. Auf dieser Ebene nämlich existieren in der Tat durchaus prinzipielle Unvereinbarkeiten der Perspektiven, unter denen „die Welt da draußen“ (außerhalb oder vor jeder Erfahrung) und unter denen „die Welt der Erfahrung“ gesehen wird. Und es gibt grundlegend unterschiedliche Axiome darüber, welchen Stellenwert die empirische Erfahrung für die Gewinnung von Erkenntnissen einnimmt und in welcher Weise die Geltung gewonnener Erkenntnisse wissenschaftlich begründet werden kann. Zwischen einigen dieser Positionen sind Kompromisse in der Tat schwer vorstellbar. Jedoch bedingt – wie ein Blick zurück auf die pragmatische Ebene der Forschungspraxis zeigt – das Denken auf einer bestimmten erkenntnistheoretischen Basis nicht zwangsläufig die Hinwendung zu einem bestimmten Forschungsparadigma. Allenfalls für die sog. „quantitative“ Wissenschaft existiert eine mehrheitlich gleichartige erkenntnistheoretische Orientierung (erkenntnistheoretischer Realismus, wissenschaftstheoretisch zugespitzt zum Kritischen Rationalismus). Für die „qualitative“ Wissenschaft dagegen existiert eine vergleichbare Leit-Orientierung nicht. Das vorfindbare Spektrum reicht vom erkenntnistheoretischen Realismus (der von nicht wenigen qualitativen Forscher/inne/n explizit oder implizit geteilt wird) über den erkenntnistheoretischen Idealismus und die Phänomenologie bis zum erkenntnistheoretischen Konstruktivismus. Wie tief man in diesen erkenntnistheoretischen Positionen auch graben mag, eine Polarisierung zwischen einer qualitativen gegenüber einer quantitativen Welt wird man schwerlich finden.
Mixed Methods
Prof. Dr. Margrit Schreier (International University Bremen)
Was ist „qualitative Forschung“, was „quantitative Forschung“? Beide Zugänge lassen sich nach meinem Dafürhalten immer nur als „Prototypen“ definieren, d.h. über eine Auflistung von Merkmalen, von denen in einer konkreten Forschungssituation einige gegeben sind, andere dagegen nicht. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich die Frage nach der Kombinierbarkeit der beiden Zugänge im Grunde schon, denn danach stellt fast jede konkrete Forschungssituation eine Kombination von Merkmalen aus beiden Zugangsweisen dar. Nicht die Kombination von Methoden aus beiden Ansätzen, sondern die Realisation einer Methode, die nur Elemente aus einem Ansatz aufweist, wäre demnach die Ausnahme.
Ganz so einfach will ich es mir jedoch nicht machen. Was die Frage nach der Methodenkombination so komplex und (immer noch) so kontrovers macht, ist m.E. die unscharfe Verwendung des Begriffs der „qualitativen Forschung“ – unscharf vor allem darin, dass häufig nicht zwischen „Methoden“ einerseits und „Designs“ (oder: „Ansätzen“) andererseits unterschieden wird. Unter „Methoden“ verstehe ich Verfahren der Datenerhebung (etwa: narrative Interviews, Beobachtung) und der Datenanalyse (etwa: Kodieren, Diskursanalyse). Unter „Ansätze“ fasse ich spezifische Kombinationen von Erhebungs- und Auswertungsverfahren, die häufig einem bestimmten Ablauf folgen, denen eine bestimmte Variante der Stichprobenziehung und/oder eine bestimmte Zielsetzung zugrunde liegen kann (beispielsweise: Ethnografie, Grounded Theory). Die Kombination von Methoden erscheint mir vielfach unproblematisch, wie etwa in sequentiellen mixed methods-Designs (z.B.: eine quantitative Fragebogenstudie, daran anschließend qualitative Exploration sowohl von typischen als auch untypischen Fällen) oder in parallelen mixed methods-Designs (etwa Kombination von Fragebogen mit geschlossenen Fragen und Gruppendiskussion bei der Datenerhebung; s. auch Triangulation). Als deutlich schwieriger hat sich dagegen die Realisation von mixed model-Designs erwiesen, in denen Design-Elemente aus beiden Ansätzen kombiniert werden.
Aber auch im Hinblick auf die Methodenkombination verbleiben noch einige offene Fragen. Bei parallelen mixed methods-Designs betrifft dies nach wie vor die Kontroverse, wie Ergebnisse, die mittels unterschiedlicher Methoden erzielt wurden, in Relation zueinander zu interpretieren sind. Bei sequentiellen mixed methods-Designs (wie etwa dem Forschungsprogramm Subjektive Theorien) ist dies die Frage des relativen Status der Phasen zueinander.
Literatur:
- Fielding, Nigel & Schreier, Margrit (2001). Introduction: on the compatibility between qualitative and quantitative research methods. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 2(1). http://qualitative-research.net/fqs-texte/1-01/1-01hrsg-e.htm.
- Tashakkori, Abbas & Teddlie, Charles (1998). Mixed methodology. Combining qualitative and quantitative approaches. Thousand Oaks etc.: Sage.
- Kelle, Udo (2001). Sociological explanations between micro and macro and the integration of qualitative and quantitative methods. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 2(1). http://qualitative-research.net/fqs-texte/1-01/1-01kelle-e.htm.
Triangulation als Rahmen für die Verknüpfung qualitativer und quantitativer Forschung
Prof. Dr. Uwe Flick (Alice Salomon Hochschule Berlin)
Das Interesse an einer Kombination qualitativer und quantitativer Forschung wächst aktuell in unterschiedlichen Kontexten: In der Methodendiskussion, in der Forschungspraxis, in der Verallgemeinerung von Ergebnissen und in der Frage einer angemessen umfassenden Methodenausbildung. Dabei haben Schlagworte wie „Methodenmix“, „Mixed Methods“ oder „Integrative Sozialforschung“ Konjunktur. Die entsprechenden Diskussionen sind dabei gelegentlich von einer gewissen Pragmatik gekennzeichnet, die Gefahr läuft, die spezifischen Hintergründe, Besonderheiten und Stärken beider Ansätze – qualitativer und quantitativer Forschung – zu wenig zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang soll der Ansatz der Triangulation, der in den genannten Diskussionen häufig vor allem als Abgrenzungsfolie verwendet wird, aufgegriffen werden. Dabei soll diskutiert werden, ob und inwieweit der Ansatz der Triangulation nicht ein angemesseneres Verhältnis von Pragmatik und Reflexion in der Kombination qualitativer und quantitativer Forschung realisiert. Dabei bleibt gerade auch die Idee der Übertragung und Generalisierung von Ergebnissen durch Methodenkombinationen zu diskutieren. Triangulation soll hier nicht primär als Strategie der Überprüfung von Ergebnissen, sondern als ein Weg zu umfassenderen Erkenntnissen verstanden werden.
Integration statt Konfrontation! Plädoyer für eine produktive Wende in der sozialwissenschaftlichen Methodendebatte
Prof Dr. Udo Kelle (Universität Marburg)
Die seit langem laufende Debatte zwischen qualitativer und quantitativer Methodentradition bewegt sich seit langer Zeit auf der Stelle, wobei zentrale Argumente oft seit Jahren wiederholt, aber kaum aufeinander bezogen werden. Dies liegt daran, dass beide Traditionen jeweils unterschiedliche Forschungsziele für relevant erklären und darauf aufbauend konfligierende Qualitätsstandards und Kriterien für gute Forschung entwickelt haben. Der Beitrag plädiert dafür, einen Perspektivenwechsel in der Debatte vorzunehmen, bei dem Forschungsziele und Gütekriterien beider Traditionen als legitim anerkannt werden und die wechselseitige Kritik in ihrem Potential zur Weiterentwicklung von Methoden genutzt wird. Anhand empirischer Beispiele wird gezeigt, wie die besonderen Stärken qualitativer und quantitativer Verfahren genutzt werden können, um Schwächen und Methodenprobleme der jeweils anderen Methodentradition zu bearbeiten und auf dieser Grundlage integrative Forschungsdesigns entwickelt werden können.