Closing Lecture 2019
Forschungsrealitäten. Probleme der Forschungspraxis als methodologische Inspiration
FVA Freiburg
Das Berliner Methodentreffen zeugt jedes Jahr von der wachsenden Vielfalt qualitativer Forschung. Die verschiedenen Methoden, ihre Theorien und Verfahrensschritte und ihre Abgrenzungen voneinander, sind weitgehend gut beschrieben. Was aber wissen wir über die Vielfalt der „Realitäten“, in denen sie eingesetzt werden?
Aus den institutionellen Einbindungen von Wissenschaftler*innen (in Universitäten, Forschungsinstituten, diversen Disziplinen, Drittmittelzyklen und Karriereverläufen) ergeben sich Handlungsanforderungen, die selten mit der „reinen Lehre“ der Methoden in Einklang stehen. Viele qualitativ Forschende sind Grenzgänger*innen. Sie überschreiten nationale, institutionelle und disziplinäre Grenzen und ihre Arbeit ist entsprechend von ganz verschiedenen Wissenskulturen und Handlungsproblemen geprägt.
Das gilt auch für die Methoden, die sie verwenden: Sie sind in konkreten Forschungsprojekten entstanden, die eine Zeit, einen Ort und einen Problembezug hatten. In der Methodenliteratur aber erscheinen sie weitgehend abgelöst von ihrer Geschichte: dekontextualisiert, entpersonalisiert, idealisiert. Wie sie angemessen rekontextualisiert werden können, wird wenig thematisiert – ein Problem vor allem für Institutionen und Disziplinen, die selbst kaum an Methodenentwicklungen beteiligt sind. So entstehen Gräben zwischen Methodologie und Forschungspraxis und Forschende haben oft das Gefühl, methodischen Idealen nicht gerecht zu werden.
Ein alternatives Methodenverständnis lässt sich aus der Wissenschaftsforschung ableiten, die Forschungsmethoden expliziter zu den institutionell vielfältigen Bedingungen von Erkenntnis in Bezug setzt. Es lädt dazu ein, Methodologisieren als notwendige Kontextualisierungsarbeit in der eigenen Forschungspraxis zu betreiben, die Logiken und Stärken der Praxis und ihrer Problemlagen auszuloten und dabei auch methodische Grenzzäune zu überwinden.